Netzwerk Bildungsfreiheit e.V.
Landesverband Bayern

Offener Brief an alle bayerischen Landtagsabgeordnete

Dringend benötigte Reformen in der bayerischen Bildungspolitik

Sehr geehrte Damen und Herren,

in diesen Tagen macht der Bonner Erziehungswissenschaftler Professor Ladenthin in verschiedenen Interviews und Artikeln auf einen weltweit einzigartigen bildungspolitischen Missstand in unserem Land aufmerksam: Die Diskriminierung schulfreier Bildungsalternativen und deren Ahndung durch bundesdeutsche Behörden.

Obwohl das dezentrale Lernen zu Hause in fast allen Ländern der Erde möglich und ausgesprochen erfolgreich ist, hat sich der BGH aufgrund eines isolierten Einzelfalls zu der generellen Feststellung verstiegen, das Kindeswohl sei bei häuslichem Unterricht gefährdet und eine derartige Praxis stelle einen Missbrauch elterlicher Sorge dar.

Ausgehend vom Beschluss des BGH hat das bayerische Kultusministerium in einem Rundschreiben an alle Städte und Landratsämter das Urteil aufgegriffen und weist die zuständigen Behörden mehr oder weniger unverhohlen an, gegen zu Hause unterrichtende Eltern familiengerichtlich vorzugehen. Diese ministerielle Anweisung ist ebenso wie das BGH- Urteil ein Skandal und stellt bildungsnahe, engagierte freilernende Familien unter Generalverdacht, ungeachtet des konkreten Einzelfalls und der tatsächlich vorherrschenden familiären Situation.

Natürlich ist uns die bestehende Rechtslage, die Sie mir jetzt wahrscheinlich entgegenhalten, bestens bekannt. Die bestehenden Gesetze sind aber sowohl hier als auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen nicht für die Ewigkeit gemachte Monolithen, sondern bedürfen der ständigen Überprüfung an den gesellschaftlichen Realitäten und Erfordernissen, ob sie noch in die veränderte Zeit passen und dem Menschen gerecht werden.

Zumindest hinsichtlich der deutschen Schulpflicht besteht heute ein dringender Reform- und Modernisierungsbedarf. Fast täglich klagen uns Menschen aus den verschiedensten gesellschaftlichen Schichten und aus einer Vielzahl von Gründen in Mails, Briefen und Telefonaten ihr Leiden am erbarmungslosen deutschen Schulzwang, der keine Alternativen und Ausnahmen duldet.

Die Gründe sind vielfältig: Hochbegabte, Kinder mit Teilleistungsstörungen und –begabungen, Opfer von psychischer und physischer Gewalt, Kinder, die aufgrund ihrer individuellen Veranlagungen zu Hause besser und leichter lernen, Eltern, die auf eine gute und wertegebundene Sozialisation Wert legen. Egal, welche Gründe man anführen mag, eins ist all diesen Familien gemeinsam: ein hohes Maß an Engagement und Interesse der Eltern an der Bildung und Erziehung ihrer Kinder und eine harmonische, intakte Eltern-Kind–Beziehung. In keinem einzigen uns bekannten Fall kann von einer „Kindeswohlgefährdung“ gesprochen werden, das Gegenteil ist der Fall.

Uns sind sehr wohl auch die oft geäußerten Argumente gegen „Home Education“ bekannt. Doch sind diese entweder nie in der Praxis wirklich vorgekommen oder sie sind durch Studien und den Alltag in anderen Ländern längst umfassend widerlegt.

So sind die vielstrapazierten Parallelgesellschaften bisher in Ländern, die freie Bildungsformen zulassen, nirgendwo beobachtet worden, zumindest nicht aufgrund von Homeschooling. Die tatsächlich vorkommenden Parallelgesellschaften, etwa in Berlin-Kreuzberg, existieren in unserem Land trotz eisernem Schulzwang.

Dass es zu Hause unterrichteten Kindern an der nötigen Sozialisation fehle, haben zahlreiche Studien in den USA und Großbritannien an tausenden mittlerweile erwachsenen Homeschoolern widerlegt, die mittlerweile aktiv im Leben stehen und bei Eliteuniversitäten mit Vorliebe genommen werden. Auch hier hat sich gezeigt, dass deren soziale Entwicklung meist sogar besser ist als die ihrer Altersgenossen, die eine öffentliche Schule besucht haben.

Angesichts der Tatsache, dass

  • alle Staaten der EU außer Deutschland schulfreie Bildungsalternativen gesetzlich zulassen und teilweise sogar großzügig in der Verfassung schützen,
  • das bayerische Kultusministerium das häusliche Lernen durch anerkannte Institutionen wie die Deutsche Fernschule und das Institut für Lernsysteme für Kinder von Missionaren, Entwicklungshelfern, Diplomaten etc. sogar ausdrücklich empfiehlt,
  • hunderttausendfach bereits heute Eltern nachmittags Homeschooling praktizieren, ja die Schulen ohne diese Praxis vielfach gar nicht mehr auskämen,

möchte ich Sie fragen: Wie kann man einen Verdacht der Kindeswohlgefährdung und einen Missbrauch der elterlichen Sorge konstruieren, wenn besagtes Homeschooling nun nicht im Ausland, sondern im Inland und statt am Nachmittag auch am Vormittag stattfindet? Ist solch ein Vorwurf nicht absurd?

Eine freiheitliche Gesellschaft braucht Vielfalt und Alternativen. Monopole sind einem gesunden Bildungssystem ebenso abträglich wie einer gesunden Wirtschaft. Nur im Wettbewerb der verschiedenen Bildungswege (staatliche Schule, Privatschule, häuslicher Unterricht, Familien- und Gemeindeschulen, Alternativschulen, Schulen für dezentrales Lernen) und der vielfältigen Wahlmöglichkeiten für Eltern und Kinder ist gewährleistet, dass keines unserer Kinder zurückbleibt und scheitert, sondern eine echte Chance für eine erfolgreiche Bildungsbiographie bekommt.

Ich bitte Sie ...., sich dafür einzusetzen, dass dezentrales Lernen in der Familie, natürlich unter staatlicher Aufsicht, eine Chance erhält und Bayern sich den europäischen Gepflogenheiten annähert. Darüber hinaus bitte ich Sie an einem Toleranzedikt mitzuwirken, das derzeit in Bayern praktizierenden Homeschoolfamilien in einer Art Pilotprojekt Freiheit von behördlichen Repressionen ermöglicht. Zumindest sollten die ungerechtfertigten und in der Sache völlig überzogenen Drohungen des Ministeriums mit familiengerichtlichen Maßnahmen zurückgenommen werden. Dafür bitte ich Sie sehr herzlich, sich einzusetzen.

Selbstverständlich sind wir jederzeit gern zu einem offenen Dialog über das Thema bereit und würden dabei Ihre möglichen Bedenken und Einwände einer sachlichen Erörterung unterziehen.

Wir freuen uns, wenn Sie unser Anliegen aufgreifen und sich mit uns in Verbindung setzen, da ansonsten der Exodus intakter, bildungsnaher Familien ins benachbarte EU–Ausland oder nach Übersee unaufhaltsam weitergehen wird.

Mit freundlichen Grüßen

Jörg Großelümern
Netzwerk Bildungsfreiheit
Vorstand
Landesverband Bayern

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