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Pädagogik-Professor Volker Ladenthin fordert die Legalisierung des Hausunterrichts                 Übersetzung

"Die Kriminalisierung der Eltern ist ein Skandal"

Bonn - Volker Ladenthin ist der erste und einzige deutsche Pädagogikprofessor, der sich offiziell für "Homeschooling", häuslichen, privaten Unterricht, starkmacht. Hierzulande ist es bislang zwar verboten. Doch Kritiker, darunter UN-Berater Vernor Muñoz Villalobos, wollen das Verbot nicht länger hinnehmen. Die Schulpflicht sollte auch in Deutschland in eine Bildungspflicht umgewandelt werden, sagt Ladenthin, Lehrstuhlinhaber für historische und systemische Erziehungswissenschaften an der Uni Bonn. In seinem Buch "Homeschooling" (Ergon Verlag, Würzburg 2006) schildert Ladenthin, warum Eltern den Weg aus Schulen suchen. Mit Ladenthin sprach Birgitta vom Lehn.

Welt: Herr Ladenthin, in Deutschland hat sich bislang kein Pädagogikprofessor ernsthaft mit Hausunterricht befasst. Warum?

Volker Ladenthin: Es dauert meist ein paar Jahre, bis Wirklichkeitsphänomene auch von der Wissenschaft aufgenommen werden. Wir hatten in Nordrhein-Westfalen vor ein paar Jahren die Diskussion über das Selbstlernen in der selbstständigen Schule, und wenn Sie das konsequent zu Ende denken, dann ist die selbstständige Schule letztlich die, die Eltern selber machen. Dann zeigte sich, dass Homeschooling auch eine soziale Bewegung war, mit der wir in Zukunft rechnen müssen. Bevor sich die Positionen noch mehr verhärten, hielt ich es für sinnvoll, einmal die Argumente zur Kenntnis zu nehmen.

Welt: Und was sind die Argumente? Es ist doch viel bequemer, die Kinder in die Schule zu schicken.

Ladenthin: Ich finde, es ist viel bequemer, die Kinder zu Hause zu haben. Dann ist man mit ihnen in einer Lebenswelt, man weiß, was sie interessiert. Kinder wegzuschicken ist immer Arbeit: Man muss sie auf die Schule vorbereiten, und wenn sie zurückkommen, muss man dann ja trotzdem noch mit ihnen arbeiten.

Welt: In der Tat stellen viele Eltern fest: Nach der Schule geht die Arbeit erst richtig los. Hausarbeiten, Üben, Lernen. Dann sagen Eltern sich: Dann kann ich auch gleich alles selbst machen.

Ladenthin: Richtig. Politiker sagen zwar häufig: Wir wollen keine Minderheiten- oder Subgruppenbildung. Aber nachmittags ist der Bereich ja bereits in privater Hand. Da sind dann meist die Mütter aktiv, oder aber man schickt seine Kinder in private Nachhilfeinstitute. Wir haben de facto bereits die Hälfte der Schulzeit für ein Drittel der Schüler als Homeschooling.

Welt: Was ist das für eine Elterngruppe, die ihre Kinder selbst beschulen will?

Ladenthin: Es sind Eltern, die sehen, dass ihre Kinder Probleme in der Schule haben. Dabei gibt es drei Gruppen: Erstens Kinder mit körperlichen Gebrechen, die etwa zu weit transportiert werden müssen. Es gibt in der Eifel einen Fall, da besteht die Schuladministration darauf, dass ein blindes Kind 120 Kilometer weit in eine Blindenschule fährt. Das ist doch der helle Wahn! Zweitens sind es Kinder, die aufgrund von psychischen Problemen nicht in die Schule passen: die typischen Mobbingopfer, die sensiblen Kinder, die in den übergroßen Klassen nicht mehr zurechtkommen. Die dritte Gruppe stammt von Eltern, die sehr bildungsbewusst sind und erlebt haben, dass viel Unterricht ausfiel und ihre Kinder in der Schule ein halbes Jahr lang nur Mandalas malten. Diese Eltern sagen: Das wollen wir nicht. Wir wollen, dass unser Kind die bestmögliche Bildung bekommt. Deshalb wollen wir uns selbst darum kümmern.

Welt: Sind es vor allem Eltern aus bildungsnahen Schichten, die für Homeschooling plädieren?

Ladenthin: Ja. Zum Hintergrund: Die Schulpflicht wurde ja ursprünglich deshalb eingeführt, weil die bildungsfernen Schichten ihre Kinder zu Hause behielten und sie zum Kartoffelausbuddeln und Getreideernten gebrauchten. Da hat der Staat gesagt: Dadurch schädigen Eltern ihre Kinder, weil sie nur auf kurzfristigen Vorteil bedacht sind. So führte man die Schulpflicht ein, man nahm den Eltern die Kinder weg, damit sie etwas lernen konnten. Jetzt haben wir aber ein anderes Klientel: Wir haben hochgebildete Eltern, 50 Prozent der Eltern haben eine gymnasiale Bildung. Die sagen: In der Schule lernen die Kinder zu wenig oder das Falsche. Der Staat muss quasi nicht mehr die Kinder vor den Eltern schützen, sondern er muss die Eltern unterstützen. Aber das ist bislang noch nicht richtig verstanden worden.

Welt: Darum tut man sich nur in Deutschland so schwer mit dem Homeschooling? In vielen anderen Ländern ist es ja gang und gäbe.

Ladenthin: In Deutschland ist die staatliche Tradition extrem stark ausgeprägt. Deutschland war auch eines der ersten Länder in Europa, das die staatliche Schule eingeführt hat. Die Tradition wirkt fort.

Welt: Wie hoch schätzen Sie den Bedarf an privaten Lerneinheiten?

Ladenthin: Ich halte ihn für sehr hoch, und er wird zunehmen. Denn die staatlichen Schulen werden immer mehr zu Verwaltungseinrichtungen. Sie verwalten Wissen. Aber sie nehmen die Kinder nicht mehr als Personen ernst. Das geht gar nicht mehr bei den Normierungen und Standardisierungen. Da werden sich bildungsambitionierte Eltern Auswege suchen. Der Drang zu Privatschulen ist ja schon da. Meine Prognose: Wir werden eine hochgradige Differenzierung des Bildungssystems erleben.

Welt: Bis zu welchem Alter halten Sie es überhaupt für möglich, Kinder daheim zu beschulen?

Ladenthin: Bis Klasse sieben. Danach kann man nur noch Fächer unterrichten, in denen man selbst spezialisiert ist.

Welt: Kritiker befürchten beim Homeschooling, dass sich religiöse Gruppen dadurch abkapseln und ihre Kinder beeinflussen.

Ladenthin: Eine gewisse Gefahr sehe ich schon, dass Sekten hier ihren Nachwuchs rekrutieren. Das findet de facto auch statt, ohne dass das jemanden stört, zum Beispiel bei den Zeugen Jehovas. Da werden Kinder zwar in die Schule geschickt, aber aus dem gesamten sozialen Leben isoliert. Und da kümmert sich keiner drum. Das ist auch der Punkt, an dem ich mit den Homeschoolern in Konflikt gerate. Ich sage: Nicht Eure elterliche Gewalt ist das Recht gegenüber Kindern, sondern die pädagogische Aufgabe. Ihr dürft Eure Kinder nicht nach Euren Wünschen formen, sondern Ihr müsst sie nach ihren eigenen Wünschen erziehen.

Welt: Eltern müssten sich also quasi testen lassen, ob sie den Ansprüchen genügen?

Ladenthin: Ja, das Ganze müsste professionalisiert werden. Wir planen nun die erste Studie zu Homeschooling in Deutschland.

Welt: Halten Sie es für angemessen, wie Jugendämter zurzeit reagieren? Oft greifen sie rigide durch, holen Kinder ab, schicken sie in die Psychiatrie, stecken Eltern in Zwangshaft.

Ladenthin: Nein, ich halte das für unangemessen. Sie können Menschen nicht mit Gewalt zur Bildung zwingen. Bildung und Gewalt schließen sich aus. Ein behutsames Vorgehen ist unbedingt notwendig, vor allem, weil es sich um bildungsambitionierte Eltern handelt. Dass diese Eltern kriminalisiert werden, ist ein Skandal.


Quelle:
Die WELT
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