Newsletter bestellen

Der Schulzwang wird fallen wie die Berliner Mauer
Educating Germany WEBRING
Previous   Home   Random   Next

 

 

„Bildungspflicht“ als „Schulzwang“ und die Liquidation des Elternrechts in Deutschland

von Prof. Dr. Franco Rest, Dortmund

Wie kommt es, dass Deutschland in Angelegenheiten des sogenannten  „Homeschoolings“ bzw. „Unschoolings“, des familiären Hausunterrichts, des unschulischen „Freilernens“, der Privatlehrer- und Privatunterrichtskultur als Land der „Gesinnungsdiktatur“ gilt, das Eltern, besonders religiös motivierte (mit löblichen Ausnahmen nur gegenüber den entsprechend massiv auftretenden Muslimen) aber auch Eltern mit ausschließlich pädagogischen Begründungen durch geballte Staatsmacht zur Unterwerfung unter den „Schulzwang“ zwingt mit erheblichen Geldbußen, Gefängnis, Entzug des Personensorgerechts für ihre Kinder, Einweisung der Kinder in geschlossene Heimerziehung usw.? In Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Irland, Italien, Luxemburg, Norwegen, Portugal, Österreich, den meisten Kantonen der Schweiz ist Hausunterricht (wie in anderen demokratischen Ländern außerhalb Europas wie den USA und Kanada) ausdrücklich erlaubt, in Griechenland, Niederlande, Spanien und den anderen Kantonen der Schweiz geduldet. Nur in Deutschland, in islamischen / islamistischen Ländern und einigen unausrottbaren Diktaturen werden Eltern und Kinder existenziell bedroht und allem Privatunterricht einschließlich den Privatschulen das Leben so schwer wie möglich gemacht. Viele Länder verpflichten ihre Bürger nur dazu, den Kindern eine angemessene (Aus-)Bildung zu sichern. „In Norwegen besteht Schulpflicht ausdrücklich nur, wenn nicht eine äquivalente Ausbildung nachgewiesen wird“. Warum, so fragen sich die staatlich Geschlagenen und Verfemten.

Trefflich dokumentiert sind z.B. vor dem Jahre 2000 folgende „Fälle“:

Ralf Bernd Schiemann aus Bebra unterrichtete seine Tochter zu Hause; viermalige Verurteilungen. Ehepaar Stücher aus Siegen; Entzug des Sorgerechts, dann Androhung eines Polizeieinsatzes, dann Duldung mit Auflage. Gegen Kuno und Dorothee Becker verzichtete das Amtsgericht Emmendingen ausdrücklich auf eine staatliche Maßnahme wegen häuslichen Unterrichts ihrer vier Kinder außerhalb der Schule. Renata Lauffen in Düsseldorf; Sorgerechtsentzug wegen religiös begründetem Hausunterricht zur Durchsetzung des öffentlichen Interesses am Schulbesuch; Verurteilung zu zwei Monaten Haft; Flucht nach London, wo sie unbehelligt ihr Kind unterrichtet. Tilmann Holsten wird von den Eltern in Hausunterricht genommen nach ärztlicher Diagnose einer Schulangst; die Eltern verschicken das Kind nach widerlichen Rechtsstreitigkeiten in die USA, später Schweiz.

Aus neuester Zeit hier nur drei bestens dokumentierte „Fälle“: Melissa Busekros (Erlangen), wird 15-jährig zwangsweise psychiatrisiert und in „Pflegehaft“ genommen; Flucht aus der Pflegefamilie 2006/2007; Vorwurf: Loyalität zum Vater, Solidarität mit der Familie, Schulphobie. Dagmar und Tilmann Neubronner (Bremen); Verurteilung zu Zwangsgeld, Erzwingungshaft wegen Entzug der Kinder vom Schulzwang; Flucht 2007 aus Deutschland; Vorwurf: Nichtbereitschaft zur Zwangsbeschulung ihrer beiden Söhne. Jürgen und Rosemarie Dudek (Werra-Meißner-Kreis); Haftstrafe gegen beide Eltern 2007/2008 wegen Schulentzugs aus vor allem religiösen Gründen; Kinder zeigen überdurchschnittliche Bildungsleistungen.

Nochmals unsere Fragen also: Wie konnte es geschehen, dass sich Deutschland in seinem Erziehungsverständnis zu einer Hochburg der antidemokratischen Unterwerfung seiner Bürger unter die Knute eines diktatorischen Schulzwangs entwickelte und sich dadurch aus jeglicher Erziehungsethik verabschiedete? Warum ist Deutschland mit seinem Erziehungsverständnis innerhalb der Gemeinschaft demokratischer Staaten völlig isoliert und ein Hort des Zwangs, der Unterdrückung individueller Persönlichkeitsentfaltung und der schulischen Indoktrination? Vielleicht verschafft uns ein verstärkter Blick in die Geschichte des Erziehungsdenkens eine kleine Antwort.

Von Weimar über 1938 / 1941 bis heute

Erstmalig in der Geschichte war von „Schulpflicht“ in Preußen 1717 die Rede, wo der sogen. Soldatenkönig im Blick auf die beginnende Industrialisierung, die Anforderungen an seine Soldaten und auf die Situation der Landbevölkerung dies als Vision in ein Gesetz schreiben ließ. Das bezog sich zunächst nur auf das Königreich Preußen, d.h. auf die außerhalb der kaiserlichen Reichshoheit liegenden ehemaligen polnischen Gebiete Ostpreußen und Litauen. Nach der preußischen Staatsreform wurde die Schulpflicht 1806 voll verwirklicht. Die Einführung der Schulpflicht war in diesen Regionen ein Teil der "Kolonisationspolitik". Sie diente der Verbreitung des Protestantismus und der brandenburgischen Herrschaftsdoktrinen. In diesen Gebieten sollten die aus Österreich vertriebenen Protestanten angesiedelt werden. "Da aber der Staat keine Mittel bereitstellte und die Volksschulen nur mit lokalen Mitteln finanziert wurden, blieb es zunächst bei einer bloßen Absichtserklärung".

Im Generallandschulreglement für den Gesamtstaat Brandenburg-Preußen wird dann 1763 konsequent (nur) von „Unterrichtspflicht“ gesprochen. Wörtlich heißt es dort: „Eltern steht zwar frei, nach den im zweiten Teil (des Reglements) enthaltenen Bestimmungen den Unterricht und die Erziehung ihrer Kinder auch in ihren Häusern zu besorgen“ (§ 7). Demnach konnte der Unterricht also ausdrücklich auch zu Hause erfolgen, was dem Standard von Privatlehrern und Privatunterricht gerecht wurde; Voraussetzung war lediglich, dass das angestrebte Niveau von Bildung erreicht würde. Das Ganze wurde nach v. Holtzendorf damit begründet: „Unbestritten voran mit ihrem Anteil steht die Familie, so weit sie den Willen und die Fähigkeit hat, ihren Erziehungsberuf zu erfüllen“. Damit war der Privatunterricht ausdrücklich genehmigt.

In §43 des Allgemeinen Landrechts von 1794 ist zu lesen: "Jeder Einwohner, welcher den nötigen Unterricht für seine Kinder in seinem Hause nicht besorgen kann, oder will, ist schuldig, dieselben nach zurückgelegten Fünften Jahre zur Schule zu schicken". Demnach wird davon ausgegangen, dass viele Menschen den „nötigen Unterricht“ durchaus im eigenen Hause besorgen können. Der Unterricht endet, wenn das Kind, „die einem jeden vernünftigen Menschen seines Standes notwendigen Kenntnisse gefasst hat". Es gab also Unterrichts-, aber keine Schulpflicht. Die Einführung der Schulpflicht erfolgte generell erst 1825 durch eine Cabinettsorder. 25 Jahre später wurde die Unterrichtspflicht sogar Bestandteil der preußischen Verfassung. Diese ermöglichte den Eltern sog. höherer oder gebildeter Stände, ihre Kinder nicht in Volksschulen, sondern in Privatschulen zu schicken bzw. sie durch Privatlehrer unterrichten zu lassen. Dadurch entzogen diese ihre Kinder bis zu einem gewissen Grade dem Einfluss des Staates, denn der Staat hatte relativ geringe Möglichkeiten, auf die Privatschulen einzuwirken. In der Instruktion zur Ausführung der Allerhöchsten Kabinetts-Ordre v. 10.6.1834 zum Privatschulwesen heißt es in §7: "Hier kann schulaufsichtlich nur eingegriffen werden, sofern offensichtliche Missbräuche abzustellen sind.“

Endgültig durchgesetzt hat sich die Schulpflicht demnach also erst 1919 mit der Weimarer Verfassung durch Art. 145. Ab jetzt galt nicht die Unterrichts-, sondern Schulpflicht im Sinne einer Pflicht zum Besuch der bereitgestellten öffentlichen Unterrichtsanstalten. Die Schulpflichtdauer sah mindestens acht Jahren vor. Aber die notwendigen Ländergesetzgebungen sind dem keineswegs konsequent gefolgt. Einige beschränkten sich beispielsweise auf eine nur siebenjährige, andere erweiterten die Pflicht auf eine neunjährige Schulzeit. Eine Berufsschulpflicht im späteren Sinne war nicht vorgesehen, wohl aber eine „Fortbildungsschule bis zum vollendeten 18. Lebensjahr“. Die wichtigsten Beweggründe für die Schulpflicht waren das Bemühen, auch den Kindern in ländlichen Gemeinden einen Schulbesuch zu ermöglichen, und vor allem die „Verpflichtung“ der entsprechenden staatlichen Stellen zur Sicherstellung der notwendigen Schulbesuchsmöglichkeiten in den „Volksschulen“. Keineswegs hatte sich die Schulpflicht gegen die Eltern gestellt; vielmehr war sie ein Instrument zur flächendeckenden Sicherstellung von Bildungsmöglichkeiten für alle.

Der Art. 120 der Weimarer Verfassung lautete: „ Die Erziehung des Nachwuchses zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit ist oberste Pflicht und natürliches Recht der Eltern, über deren Betätigung die staatliche Gemeinschaft wacht.“ Dies galt nach Art. 121 auch für die „unehelichen“ Kinder. Einrichtungen des Staates dienen vor allem der Verhinderung aller Formen von Verwahrlosung (Art. 122). Wörtlich heißt es dann: „Fürsorgemaßregeln im Wege des Zwanges können nur auf Grund des Gesetzes angeordnet werden.“ Damit gelten alle Formen des „Zwanges“ als dem Elternrecht nachgeordnet. Aber für die Bildung der Jugend haben öffentliche Anstalten des Reiches, der Länder und Gemeinden zu sorgen. (Art. 143) Gem. Art. 144 steht „das gesamte Schulwesen unter der Aufsicht des Staates“; die durch „fachmännisch vorgebildete Beamte“ ausgeübt wird. Dann heißt es im Art. 145 wörtlich: „Es besteht allgemeine Schulpflicht. Ihrer Erfüllung dient grundsätzlich die Volksschule mit mindestens acht Schuljahren und die anschließende Fortbildungsschule bis zum vollendeten achtzehnten Lebensjahre. Der Unterricht und die Lernmittel in den Volksschulen und Fortbildungsschulen sind unentgeltlich.“

Die nächsten Artikel beziehen sich auf die Ausgestaltung des Schulwesens aus Grundschule und mittlere bzw. höhere Schule unabhängig von der wirtschaftlichen und religiösen Stellung der Eltern. Volksschulen sind allerdings nach Bekenntnis und Weltanschauung möglich; dabei ist „der Wille der Erziehungsberechtigten möglichst zu berücksichtigen“. Die Genehmigung ist abhängig davon, dass der gleiche Standard wie in öffentlichen Schulen erreicht wird und dass keine „Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern“ erfolgt. Das gilt neben den Ersatzschulen in begrenztem Maße auch für Privatschulen, die also ausdrücklich benannt und von den Weltanschauungs- bzw. Bekenntnisschulen abgegrenzt werden. Als Erziehungsaufgabe werden „sittliche Bildung, staatsbürgerliche Gesinnung, persönliche und berufliche Tüchtigkeit im Geiste des deutschen Volkstums und der Völkerversöhnung“ benannt. Neben den öffentlichen Schulen, in denen auch Religionsunterricht erteilt wird, gibt es auch sog.. bekenntnisfreie (weltliche) Schulen. Damit sind die Grundlagen geschaffen mit denen Elternrecht immer noch gegenüber dem Schulrecht als vorrangig betrachtet wird. Später formulierte Helmut Thielicke: „Der Staat hat seinen Erziehungsauftrag von demjenigen der Eltern abzuleiten und darum seine Grenzen gegenüber der elterlichen Zustimmung zu respektieren.“

In der sog. Paulskirchenverfassung, der Reichsverfassung vom 28. 3. 1849 findet sich der Hausunterricht in § 154 noch im Menschenrechtskatalog: „Der häusliche Unterricht unterliegt keiner Beschränkung.“

Das ist im Wesentlichen die Rechtssituation, welche der Nationalsozialismus bei seinen Regelungen vorfand. Dieser hatte von seiner Grundüberzeugung kein Interesse mehr am Erziehungsrecht der Eltern und an damit zusammenhängenden Grenzen staatlicher Gewalt; und in dieser Tradition behauptet sich die bundesrepublikanische Schulzwang-Situation. Auch die „privaten Vorschulen“, die zumeist den privaten höheren Mädchenschulen vorgeschaltet waren, hatte bereits die Weimarer Verfassung aufgehoben. Am 6. Juli 1938 wurde das „Gesetz über die Schulpflicht im Deutschen Reich“ (Reichsschulpflichtgesetz) erlassen (nochmals geändert und verschärft am 16. Mai 1941). Dies Gesetz schließt zwar formal im ersten Satz wörtlich an den Art. 145 der Weimarer Verfassung an, überhöht jedoch die Schulpflicht insbesondere durch den Begriff der „Unterwerfung“, durch die Formulierung des „die Schulpflicht ist zu erfüllen“, durch die Bindung an den „Geist des Nationalsozialismus“ und durch die Begrenzung auf die deutsche Staatsangehörigkeit. Wörtlich lautet der § 1: „Im Deutschen Reich besteht allgemeine Schulpflicht. Sie sichert die Erziehung und Unterweisung der deutschen Jugend im Geiste des Nationalsozialismus. Ihr sind alle Kinder und Jugendlichen deutscher Staatsangehörigkeit unterworfen, die im Inlande ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben. (2) Die Schulpflicht ist durch Besuch einer reichsdeutschen Schule zu erfüllen. Über Ausnahmen entscheidet die Schulaufsichtsbehörde.“

Dieser Tatbestand macht deutlich, dass der „Schulzwang“ in Deutschland als Ausdeutung der Bildungsverantwortung des Staates für seine Bewohner eine lange Tradition besitzt, durch welche die „oberste Pflicht und das natürliche Recht“ der Eltern für die Erziehung ihres Nachwuchses geschmälert wird (und werden soll), über deren Betätigung die staatliche Ordnung lediglich zu „wachen“ hat (vgl. nochmals Art. 120 der Weimarer Verfassung).

Ganz in dieser Tradition und folgerichtig lautet auch der Art. 6 des Grundgesetzes der Bundesrepublik: „(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. (2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft. (3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.“ Die Schulpflicht kann und darf insofern lediglich als Hilfe und Stütze für die Verwirklichung des Elternrechtes verstanden werden. Der „Wille der Erziehungsberechtigten“ ist nur im äußersten (Not-)Fall zu brechen und auch dann kann und darf er niemals völlig ersetzt werden. Folglich ist in dem folgenden Art. 7 auch nur von der Aufsicht des Staates für das Schulwesen die Rede, nicht aber im Sinne des Reichsschulpflichtgesetzes von 1938 von einer gewollten Indoktrination, aber auch nicht von „Unterwerfung“ und auch nicht davon, dass die „Schulpflicht durch den Besuch einer Schule zu erfüllen“ sei.

Die „private Volksschule“ ist neben den Ersatzschulen ausdrücklich möglich: „Eine private Volksschule ist nur zuzulassen, wenn die Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt oder, auf Antrag von Erziehungsberechtigten, wenn sie als Gemeinschaftsschule, als Bekenntnis- oder Weltanschauungsschule errichtet werden soll und eine öffentliche Volksschule dieser Art. in der Gemeinde nicht besteht“. Art. 7 (5) Wenn ein öffentlich genehmigtes und curricular geprüftes Homeschooling bzw. unschulisches „Freilernen“ also als private Volksschule betrieben wird, ist es ausdrücklich als verfassungsgemäß anzusehen. Ein Eingreifen des Staates zur Erzwingung eines Schulbesuches in einer staatlichen Schule oder Ersatzschule sogar in der Form des Entzug der Personensorge durch die Eltern ist ausdrücklich verfassungswidrig und, wenn sie geschieht, (leider) in der ungebrochenen Tradition des nationalsozialistischen Reichsschulpflichtgesetzes von 1938.

Betrachten wir dieses nationalsozialistische Gesetz von 1938 noch ein wenig genauer: Der § 5 besagt ausdrücklich, dass alle Kinder zum Besuch der Volksschule verpflichtet sind, „soweit nicht für ihre Erziehung und Unterweisung in anderer Weise ausreichend gesorgt ist“. Theoretisch wäre in dieser Formulierung das den Nationalsozialisten jedoch nicht bekannte Homeschooling oder unschulische „Freilernen“ noch möglich; warum eine solche Formulierung keine Kontinuität über 1945 hinaus erhielt, bleibt deshalb besonders unerfindlich. Weiter heißt es 1938 sogar: „Während der vier ersten Jahrgänge der Volksschule darf anderweitiger Unterricht an Stelle des Besuchs der Volksschule nur ausnahmsweise in besonderen Fällen gestattet werden.“ Was ist mit einem „anderweitigen Unterricht an Stelle des Besuchs der Volksschule“ zu verstehen, wenn nicht ein Unterreicht in alleiniger Verantwortung der Eltern? Diese Idee des unschulischen Freilernens kann man allerdings nicht als in der nationalsozialistischen Tradition stehend darstellen; das würde die Tatsachen verdrehen, denn gemeint war bei den Nationalsozialisten wohl die Erziehung und Unterweisung in geschlossenen Anstalten. 1938 war allerdings noch von „darf gestattet werden“ die Rede, was in der Gesetzesänderung von 1941 ausdrücklich umformuliert wurde: „Zum Besuch der Volksschule sind alle Kinder verpflichtet, soweit....für ihre Erziehung und Unterweisung in anderer Weise nicht ausreichend gesorgt ist.“ Beim Tätigwerden von Fürsorgestellen muss weiterhin ausdrücklich der Erziehungsberechtigte gehört werden. Das Verhalten einiger Dienststellen in der heutigen Bundesrepublik widerspricht demnach sogar dem nationalsozialistischen Standard bzw. zeigt ein noch gesteigertes diktatorisches, „faschistoides“ Verständnis zum Umgang mit dem Elternrecht und dem Elternwillen (vgl. den o.a. Fall „Amina Melissa Busekros“ u.a.).

Das Reichsschulpflichtgesetz von 1938 zeichnet sich vor allem auch durch die Einführung der Berufsschulpflicht nach Beendigung der Volksschulpflicht aus. In der Tradition dieses Gesetzes steht die Erzwingung eines Schulbesuches über das 14. Lebensjahr hinaus.

Ausdrücklich führt dann das Gesetz von 1938 im § 12 den „Schulzwang“ ein, indem es dort wörtlich heißt: „Kinder und Jugendliche, welche die Pflicht zum Besuch der Volks- oder Berufsschule nicht erfüllen werden der Schule zwangsweise zugeführt. Hierbei kann die Hilfe der Polizei in Anspruch genommen werden.“ Exakt dies wird von bundesdeutschen Gerichten und Dienststellen unberührt von der nationalsozialistischen Tradition bis heute umgesetzt. Damit hat der Nationalsozialismus und haben folglich auch bundesdeutsche Gerichte und Dienststellen das ursprünglich Elternrecht und die ursprüngliche Aufgabe des Staates und der Schulen für eine Unterstützung der Eltern aufgegeben. Schule wird zu einer Zwangs- ggf. sogar zu einer staatlich beförderten Folterstelle für Kinder ausdrücklich gegen den Elternwillen.

Ergänzend seien die weiteren Formulierungen benannt, nach denen vielfach bis zum heutigen Tag gehandelt wird oder gehandelt werden soll: § 13. Verantwortlichkeit Anderer für die Erfüllung der Schulpflicht. (1) Wer für die Person des Schulpflichtigen zu sorgen hat, sowie der, dem Erziehung oder Pflege des Schulpflichtigen anvertraut ist, hat dafür Vorsorge zu treffen, dass der Schulpflichtige am Unterricht und an den sonstigen Veranstaltungen der Schule regelmäßig teilnimmt und sich der Schulordnung fügt. (2) Wer für die Person des Schulpflichtigen zu sorgen hat, ist verpflichtet, ihn für den Schulbesuch nach Maßgabe der hierüber erlassenen Bestimmungen in gehöriger Weise auszurüsten und den zur Durchführung der Schulgesundheitspflege erlassenen Anordnungen Folge zu leisten. (3) Lehrherren, Dienstherren, Führer von Betrieben oder deren Bevollmächtigte haben dem Schulpflichtigen die zur Erfüllung der Schulpflicht erforderliche Zeit zu gewähren und ihn zur Erfüllung der Schulpflicht anzuhalten.

Es folgen dann sogar die Strafbestimmungen, die in der Bundesrepublik durch Übernahme dieser Rechtsvorstellungen aus der Zeit des Dritten Reiches z.B. bei der Familie Dudek in Hessen zu Haftstrafen für die Eltern „ohne Bewährung“ geführt haben, obwohl die Kinder überdurchschnittliche Vergleichsleistungen zu den schulisch Unterrichteten aufwiesen: § 14. Strafbestimmungen. (1) Der den Bestimmungen über die Schulpflicht vorsätzlich oder fahrlässig zuwiderhandelt, wird mit Geldstrafe bis zu 150 Reichsmark oder mit Haft bestraft, sofern nicht nach anderen Gesetzen eine höhere Strafe verwirkt ist. (2) In gleicher Weise wird bestraft, wer vorsätzlich Schulpflichtige oder die im § 13 bezeichneten Personen durch Missbrauch des Ansehens, durch Überredung oder durch andere Mittel dazu bestimmt, den Vorschriften über die Schulpflicht entgegen zu handeln. Dem ist wohl nichts mehr hinzuzufügen, um die fatale Kontinuität der Denkweisen zu offenbaren. Wenn Schulpflicht zum Schulzwang wird, wird das Elternrecht kastriert, wird die „oberste Pflicht“ und wird das „natürliche Recht“ der Eltern zur Farce, wird die dadurch eigentlich zu sichernde „freie Entfaltung der kindlichen Persönlichkeit“ zu einem hohlen Grundsatz; und sogar die Unverletzlichkeit der „Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses“ wird durch staatliches Gesetz der Lächerlichkeit preisgegeben, wenn Eltern ihre Kinder aus religiösen Beweggründen oder aus Gewissensnot dem schulischen Zwangsunterricht entziehen. Angeblich „binden“ die Grundrechte jede Gesetzgebung, jede „vollziehende Gewalt“ und jede „Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht“. Aber das stört die länderspezifischen Schulgesetze der föderalistischen Bundesrepublik nicht, die sich ungebrochen als Erfüllungsinstanzen des nationalsozialistischen Schulzwangs sehen.

Die nationalsozialistischen Beweggründe zur Liquidation des Elternrechts

Ernst Krieg hatte bereits 1935 betont, keineswegs besitze die Familie „ein Monopol an Erziehung und Erziehungsrecht“, vielmehr richte die nationalsozialistische Aufbruchstimmung die Familie „auf seine Ziele und seine Weltanschauung“ im Sinne einer Gleichrichtung. Die Erziehungsfunktion der Familie beschränke sich auf die „völkische Fortpflanzung“ und die „Aufzucht des Nachwuchses“. Das Gesetz der nationalsozialistischen Erziehung sei die „grundlegende rassische Zucht und die bewusste völkische Bildung auf der Grundlage des für alle Glieder der Gemeinschaft verpflichtenden Weltbildes“. Und Rudolf Benze meint, es dürfte nur solchen Erziehungsmächten eine Mitwirkung an der Erziehung gestattet werden, die „rückhaltlos“ das Erziehungsziel den nationalsozialistischen Staates bejahen. Der Reichserziehungsminister Bernhard Rust schlägt deshalb bereits 1936-37 vor, begabte Schüler aus ländlichen Regionen für eine „einheitliche Haltung und Ausrichtung“ in Internate zu verbringen. Und Alfred Bäumler, der andere Erziehungstheoretiker der Zeit prägt zwei Begriffe, nämlich die „Erziehung als Formation und als Auslese“; die Schule habe die Funktion, Menschen „von bestimmter rassischer Anlage zu dem Höchstmaß ihrer Leistungen innerhalb der nationalen Gemeinschaft zu bringen“. Die Formation geschieht durch Jungvolk und Hitlerjugend, die Auslese durch die Schule. Ganz in diesem Sinne wird heute zwar nicht von Auslese, was ja negativ auch Ausmerzung bedeuten würde, sondern von Bildungschancen, Begabtenförderung und von Qualitätsmanagement besprochen, welche nur durch die (dreigliedrige) Schule gesichert werden könne und bei unschulischem Freilernen gefährdet wäre.

Später betont Rudolf Benze, die Erziehungshoheit besitze „im Namen des Volkes allein die nationalsozialistische Bewegung“. Bekanntlich werden auch die bundesdeutschen Gerichtsurteile in Sachen Sorgerechtsentzug bei Homeschooling und unschulischem Freilernen „im Namen des Volkes“ gesprochen. Benze geht aber noch weiter, indem er damit droht, die Eltern „zu ersetzen oder diese zu erziehen“, wenn ihre „fehlende oder falsche Leitung der Kinder dies nötig macht“. Es wird von „groben Verstößen gegen ihre Pflichten als Erzieher und Volksgenossen“ gesprochen und von der Notwendigkeit des Eingreifens seitens des Staates bzw. der NSDAP, wenn die Eltern ihre Kinder „gesundheitlich, politisch und sozial“ gefährden. Wie das damals ablief, ist am Fall eines 11-jährigen Mädchens gut dokumentiert, das 1941 hartnäckig den Hitlergruß verweigerte, worauf den Eltern das Sorgerecht für ihre beiden Kinder entzogen wurde. Das Elternhaus war als Sozialisationsinstanz im Deutschen Reich weitgehend ausgefallen. Das scheint weitgehend auch die Absicht des bundesdeutschen Schulzwangs zu sein.

An die gut dokumentierten Fälle Busekros und Dudek aus den Jahren 2007 und 2008 fühlt man sich erinnert, wenn man die Einweisung in Fürsorgeerziehung wegen „Verwahrlosung“ (im Fall Busekros wurde von „Schulphobie“ gesprochen) verfolgt, wie sie Werner Lormis 1938 aus der nationalsozialistischen Wirklichkeit zustimmend schilderte: „Die Eheleute B. sind nicht in der Lage, ihre Kinder im Sinne des Staates zu erziehen. Seit etwa zwei Jahren wird festgestellt, dass zwar hinsichtlich der Ernährung und körperlichen Pflege nichts gegen die Erziehung der Kinder einzuwenden ist, die Kinder jedoch offensichtlich staatsfeindlich beeinflusst werden. Obwohl Nationalsozialistische Volkswohlfahrt und HJ nichts unversucht lassen, die Eltern zu einer anderen Erziehung ihrer Kinder zu bewegen und die im HJ-Alter stehenden Kinder der Jugendorganisation zuzuführen, ändert sich die Anschauung der Eltern und entsprechend die der Kinder keineswegs.“ Nur so weit die Volksgemeinschaft „nicht gestört oder gehemmt wird, kann die deutsche Familie hinfort ein Eigenleben führen“, schreibt konsequent Wilhelm Möller-Crivitz 1940. Bis in die Sprache hinein haben die Verteidiger des bundesdeutschen Schulzwangs nichts hinzu gelernt.

Ansätze zu einer Rückkehr Deutschlands in die Gemeinschaft zivilisierter Völker

Welche Konsequenzen lassen sich aus dieser Sachlage ziehen, damit Deutschland bezüglich seines Bildungssystems in die Gemeinschaft der zivilisierten Völker (zurück)-findet? Das Beste wäre, dem Gedanken des Grundgesetzes würde für den Bildungsbereich Geltung verschafft entsprechend der absoluten Vorrangnorm des Elternrechtes und des Elternwillens vor den Maßnahmen des Staates insbesondere vor der Schulverwaltung. Andere demokratische Staaten machen es uns vor.

Beispielsweise heißt es in der Verfassung Irlands Art. 42, dass der Unterricht zu Hause, in einer Privatschule oder einer öffentlichen Schule offen gehalten wird. Wörtlich: (1) Der Staat erkennt an, dass die Erziehung des Kindes in erster Linie und natürlicherweise der Familie obliegt; er verbürgt sich, das unveräußerliche Recht und die unveräußerliche Pflicht der Eltern zu achten, je nach ihren Mitteln für die religiöse, moralische, geistige, körperliche und soziale Erziehung ihrer Kinder Sorge zu tragen. (2) Es steht den Eltern frei, für diese Erziehung in ihrer Privatwohnung, in Privatschulen oder in staatlich anerkannten oder vom Staat eingerichteten Schulen zu sorgen. (3) Der Staat darf die Eltern nicht dazu verpflichten, ihre Kinder unter Verletzung ihres Gewissens und ihrer rechtmäßigen Vorliebe in staatliche Schulen oder irgendeinen besonderen vom Staat vorgeschriebenen Schultypus zu schicken.

Was hindert das bundesdeutsche Verfassungsdenken, die Ländergesetze und die Schulverwaltungen daran, diesem Grundsatz zu folgen? Einzig die Identifikation mit der deutschen obrigkeitsstaatlichen und nationalsozialistischen Bildungsgeschichte! Abhilfe könnte eine Besinnung auf die Geschichte bringen, in der Schulpflicht eindeutig als Unterrichts- bzw. wie wir das heute bezeichnen würden Bildungspflicht verstanden wurde; der eine Satz der Paulskirchenverfassung würde fast schon reichen, dass der häusliche Unterricht keinen Beschränkungen unterliegen darf.

Mindestens aber müsste gesichert wein, dass die verfassungsgemäße Interpretation des § 1666 BGB bzw. aller mit der Personensorge befassten Gesetze keinen Anhalt für den Entzug des Sorgerechts für jene Eltern bieten, die sich in Erfüllung ihrer Rechte und Pflichten um eine bestmögliche Versorgung ihrer Kinder auch im Sinne der Bildung bemühen. Die Tatsache, dass bildungswillige Eltern ihre Kinder der Schule entziehen möchten, wirft ein mehr als erschütterndes Bild auf den Zustand unserer Schulen, aber allenfalls sehr selten auf den Zustand der Personensorge der Eltern. Diese engagierten Eltern zeigen eine oftmals bessere Sorge um das Kindeswohl als alle staatlichen Stellen zusammen; sie verweigern keine „schulische Bildung“, sondern optimieren diese durch die Durchführung ihres qualifizierten Hausunterrichts, so dass ihre Bildungsarbeit oft sogar besser ist als die Resultate jeglicher Zwangsbeschulung. Es ist keineswegs gesichert, dass das „Wohl des Kindes“ von der Schule garantiert wird, oftmals im Gegenteil. Aber diese Eltern sind eine solche Garantie. Der Generalverdacht der Schulaufsicht und vieler Gerichte gegen schulverweigernde Eltern zeugt von einer bornierten Einstellung zu diesem „Wohl“.

Vielleicht könnte man sich sehr bald schon zu einer Verallgemeinerung der gering vorhandenen Ausnahmen vom Schulzwang durchringen, indem man die „Ausnahmen“ für alle öffnet. Hier sei z.B. auf die staatlich anerkannte Fernschule verwiesen, nach welcher Kinder deutscher Diplomaten und Entwicklungshelfer in elterlichem Unterricht zu den wichtigsten Schulabschlüssen geführt werden können, ohne je eine Schule von Innen gesehen zu haben; die Schule wird durch entsprechend vorbereitetes Material komplett durch Hausunterricht ersetzt. In den USA verfolgt das National Home Education Research Institute (NHERI) die Homeschooling-Szene und stellt fest, dass die Bewegung steigt (z.Zt. ca. 2 Mill. Kinder). Kinder des unschulischen Freilernens zeigen in internationalen Studien einen signifikant höheren Leistungsindex, größere Unternehmensfreudigkeit, weniger Fernseh-, Video-Konsum oder Computerspielbereitschaft, höhere Bibliotheksnutzung, multiplizierte Interessenlage (z.B. bezüglich Musikinstrumenten, künstlerischen Techniken) und eine größere Lösungskompetenz bei schwierigen, auch technischen Fragen als öffentlich und zwangsweise Beschulte. Außerdem sei erwähnt, dass die Homeschooling-Eltern eine signifikant höhere Fortbildungsbereitschaft für ihre eigene Bildung zeigen als die Normalbevölkerung.

Weiterführende Literaturhinweise

Ottwilm Ottweiler, Die Volksschule im Nationalsozialismus. Beltz Forschungsberichte: Weinheim / Basel 1979

Heinz Schreckenberg, Erziehung, Lebenswelt und Kriegseinsatz der deutschen Jugend unter Hitler. Anmerkungen zur Literatur. Geschichte der Jugend Bd. 25. LIT Vlg.: Münster / Hamburg / London 2001

Manfred Heinemann (Hg.), Erziehung und Schulung im Dritten Reich. Teil 1. Klett-Cotta: Stuttgart 1980

Ulrich Herrmann / Jürgen Oelkers (Hg.), Pädagogik und Nationalsozialismus. Zeitschrift für Pädagogik. 22. Beiheft. Beltz: Weilheim / Basel 1988

 

Verfasser: Prof. Dr. Franco Rest, Prof. für Erziehungswissenschaften und Sozialphilosophie / Sozialethik an der Fachhochschule Dortmund, FB Angewandte Sozialwissenschaften